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auf augenhöhe

Zur Rolle Otto von Bismarcks in der deutschen Kolonialpolitik am Beispiel des Bismarck-Archipels

Otto von Bismarck, den dieses Reiterstandbild darstellt, war von 1871 bis 1890 Reichskanzler des Deutschen Reiches. Bismarcks politische und wirtschaftliche Entscheidungen bezüglich der deutschen Kolonialpolitik stehen im starken Kontrast zu seinen eher zurückhaltenden Reden und Versprechungen.

Er war einer der politischen Wegbereiter, die das deutsche Kolonialreich bis zum Beginn des Ersten Weltkrieg zum flächenmäßig drittgrößten der Welt machte.

Als deutscher Reichskanzler berief er im November 1884  die so genannte Kongo-Konferenz ein, diese setzte die Aufteilung des afrikanischen Kontinents durch europäische Imperien und Kolonialmächte durch. Bismarck trat hier auf der einen Seite als der große Vermittler innerhalb Europas auf, auf der anderen Seite verstetigte er das im selben Jahr geschaffene deutsche Kolonialreich.

Am 24. April 1884 teilte Bismarck dem Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz per Telegramm mit, dass dessen Überseebesitzung unter den Schutz des Deutschen Reiches gestellt werde. Diese Entscheidung markierte die Schaffung der ersten formalen Kolonie des Deutschen Reiches.

Dieses umfasste in seiner größten Ausprägung: Teile der heutigen Staaten Burundi, Ruanda, Tansania, Namibia, Kamerun, Togo, Ghana, China, Papua-Neuguinea sowie mehrere Inseln im Westpazifik wie z.B. Samoa. Zu Papua-Neuguinea gehört noch heute das 1885 nach dem Reichskanzler benannte Bismarck-Archipel und die angrenzende Bismarcksee.

Bismarcks Bestrebungen, die Kolonien für Unternehmer so attraktiv wie möglich zu gestalten, mündete in dem Erlass des „Schutzgebietsgesetzes“ von 1886. Demnach unterstand das deutsche Kolonialreich, welches in sog. Schutzgebiete aufgeteilt wurde, dem Auswärtigen Amt. „Schutz“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Deutschen in den Kolonien unter deutschem Militärschutz standen.

Mit dem Schutzgebietsgesetz von 1886 wurden jegliche Formen der Verwaltung geregelt: Dem Reichskanzler fiel das Recht zu, Verwaltungsverordnungen für die Kolonien zu erlassen. Für die Bevölkerung der Kolonien bedeutete dies eine Fremdregentschaft durch den deutschen Kaiser, den Reichskanzler und die Kolonialbeamten.

In dieser Gesetzgebung wurde auch der Status der indigenen Bevölkerung festgehalten: Sie waren weder deutsche Staatsangehörige noch Angehörige des Reiches.

Sie wurden mit einem Sonderrechtsstatus als sogenannte „Einheimische“ geführt. Die rechtliche Segregation zwischen Deutschen und sog. Einheimischen festigte die Rassentrennung in den Kolonien.

Die Gesetzgebungen und die Haltung des Reichskanzlers Otto von Bismarck ermöglichten den Unternehmern des Deutschen Reiches Land- und Ressourcen- Zugewinn und bedeuteten Reichtum und unternehmerischen Erfolg.

Für die indigene Bevölkerung in den deutschen Kolonien bildeten die Beschlüsse und Gesetze des Reichskanzlers die Grundlage für strukturelle und direkte Gewalt, für wirtschaftliche Ausbeutung und rassistische Unterdrückung in einem von Gier und Ausbeutung geprägten Handelsimperialismus.

Die Region um das Bismarck-Archipel und die angrenzende Bismarcksee im heutigen Papua-Neuguinea, erlebte unter Bismarcks Reichskanzlerschaft 38 Strafexpeditionen. Diese Einsätze waren von extremer, militärischer Gewalt geprägt, die indigene Bevölkerung sollte im Kollektiv und zum Teil auch vorbeugend bestraft werden.

Insgesamt kam es in der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft im Westpazifik von 1875-1914 zu ca. 196 Strafexpeditionen. Die Dunkelziffer dieser gewaltvollen Unternehmungen wird von Experten jedoch auf ca. 300 geschätzt.

Diese von Kaiserlicher Marine, ansässigen Polizeitruppen und Zusammenschlüssen von Weißer Bevölkerung durchgeführten Militäreinsätze brachten schreckliche Gräueltaten in die Region. So stellte Alexander Krug in seiner Forschung zu den Zielen der Einsätze dar, es ginge darum - Zitat: „Menschenleben auszulöschen – unabhängig von ihrer persönlichen Schuld“ und der Charakter der kollektiven Bestrafung nahmen - Zitat:„in Einzelfällen Formen eines Genozids an“ - Krug, 2005

Gängige Praxis war, dass Kriegsschiffe vor die Küste manövrierten und vom Wasser aus Granaten und Artillerie feuerten. Die Polizeitruppen waren bekannt für eine gnadenlose Durchsetzung ihrer Befehle. So wurde auch kein Halt vor Mord an Frauen oder Kindern gemacht, es kam auch immer wieder zu Vergewaltigungen. All diese Taten blieben in den allermeisten Fällen ungestraft und wurden vom Reich geduldet, um dessen Herrschaft durch die Verbreitung von Schrecken durchzusetzen.

Ganze Dörfer wurden in Brand gesetzt, da sich die Bevölkerung in einigen Fällen vor den militärischen Einsätzen in Sicherheit bringen konnte. An ihren leeren Hütten wurden Exempel statuiert, ihnen wurde ihre Lebensgrundlage entrissen.

Die in den 35 Jahren der deutschen Kolonialherrschaft durchgeführten Strafexpeditionen sind bis heute ein Teil des kollektiven Gedächtnisses der Gewalt, Enteignung und Fremdherrschaft dieser Region.

Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Kolonialherrschaft waren Arbeitskräfte.

In den Jahren 1887 bis 1903 wurden laut dem Auswärtigen Amt 18.511 Menschen unter Vertrag genommen und zu den Plantagen bzw. ihren Arbeitsorten transportiert. In einem dazugehörigen Schreiben wird die Ungenauigkeit dieser Zahl jedoch bereits verdeutlicht, sie dürfte in der Realität sehr viel höher gewesen sein. Viele der „Anwerbemaßnahmen“ gingen mit falschen Vorwänden sowie Androhung und Anwendung von Gewalt einher, weshalb die Bezeichnung „Anwerbung“ aus heutiger Sicht höchst problematisch ist. Die gewaltsame und betrügerische Rekrutierung der verschleppten und ausgebeuteten Arbeiter*innen fand während der gesamten Kolonialherrschaft Deutschlands statt. Viele Arbeiter*innen kamen nicht mehr in ihre Dörfer zurück, viele starben oder flohen vor den unmenschlichen Arbeitsbedingungen auf den Plantagen.

Die von der deutschen Kolonialmacht begangenen Verbrechen, deren Grundlagen in den Gesetzen des Reichskanzlers Otto von Bismarck gelegt wurden, haben bis heute Auswirkungen auf die von ihnen betroffenen Gesellschaften. Millionen von Menschen litten unter extremer physischer und psychischer Gewalt und hatten den Verlust ihrer Heimat, ihre Familie und Freunde zu beklagen. Die systematische Ausbeutung, Unterdrückung und Anwendung von Gewalt hat tiefe Spuren hinterlassen, die sich bis heute in sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen manifestieren.